Totgesagte leben länger?

Ich war in den letzten Monaten etwas ruhig hier. Das lag unter anderem daran, dass ich ein hektisches letztes Monat in der Arbeit verbracht habe und seither weitere hektische Wochen lang Schachteln in Linz ein- und in Wien ausgepackt habe. In dieser Zeit hatte ich erstaunlich wenig Zeit Fachliteratur zu lesen, aber jetzt brüte ich schon mehrere Tage über dem Thema Selbstbild der BibliothekarInnen und damit zusammehängend, wie wir präsentiert werden, wie wir uns präsentieren und wie das ganze ankommt.

Ausschlaggebend für die Überlegung war das neue Video des dbv. Es heißt “Eine Hymne – Bibliotheksspot 2013” und wurde schon an mehreren Stellen zum Beispiel von Bibliotheksratte, Ultrà biblioteka, und Christoph Deeg) diskutiert.

Hier ein Zitat aus dem Text der Hymne, direkt von YouTube kopiert:

“Displays, Chancen, Bücherbusse, Tische,
Selbstverbuchung
Bücher, Opac´s, Unterhaltung, Langzeitarchivierung”

(Ein Accent aigu ist übrigens kein Apostroph.)

Der zitierte Text ist schon selten langweilig und weltfremd aber mehr noch als der lahme Text schockieren mich manche der Rückmeldungen zum Video, zum Beispiel:

” (…) Die “Stichworte” spiegeln die aktuelle Bibliothekwelt gut wider – Und warum müssen wir immer so tun, als hätten wir nichts mehr mit Büchern zu tun?” (bei YouTube)

Displays, Chancen, Bücherbusse, Tische, Selbstverbuchung, Bücher, Opac´s, Unterhaltung, Langzeitarchivierung?! O rly?

” (…) Ganz ehrlich: Wer solche Manschetten hat, “uncool” oder “dröge” zu wirken, sollte vielleicht kein Bibliotheksmensch werden – schließlich gehören zu unseren Nutzern nicht nur hippe Lifestyler, sondern auch normale Bücherleser (inkl. ruhesuchenden Grummelgreisen).” (bei YouTube)

Ich glaube es gibt da ein Missverständnis wozu ein Imagevideo gut ist.

“Also ich finde den ersten Film gut (Zielgruppenansprache und Darstellungweise sind klar und angemessen,. hoher Wiedererenungswert, humorvoll) (…)” (bei crocksberlin)

Ich suche noch nach dem Humor, aber wirklich unklar ist mir die Zielgruppenansprache. Außer die Zielgruppe sind BibliothekarInnen, dann ist es zumindest zur Hälfte gelungen, wenn man die Daumen hoch vs. runter bei YouTube betrachtet.

Das Video bzw manche Reaktionen darauf machen mich nachdenklich, wie sehr meine eigene Einstellung zum Bibliothekswesen, der Arbeit, der Aufgaben, der Zukunft, der Herausforderungen etc. sich von denen einiger (mancher? vieler?) BerufskollegInnen unterscheidet.

Dann kam der Kommentar von Kathrin Passig in der Zeit über die Zukunft des Papierverleihs.

Sie meint, dass die Aufgaben der Bibliotheken jetzt weitgehend vom Internet erfüllt werden und dass in Diskussionen darüber, was die Rolle der Bibliothek sein wird, immer die selben Argumente bemüht werden (z.B. Information filtern, kostenlos zugänglich machen, Zufallsfunde) die sie als widerlegt ansieht.

Wenig überraschend fühlten sich viele BibliothekarInnen die den Artikel gelesen haben auf den Schlips getreten und bemühen mal wieder die üblichen Argumente: Aber wir haben bessere Recherchekompetenz als die Digital Natives, aber das Internet ist doch gar nicht kostenlos, aber eBooks stagnieren in den USA bei 30%, also ist es mit der Digitalisierung nicht so wie vorhergesagt.

Die Bibliotheksverteidiger in dieser Diskussion übersehen meiner Meinung nach, dass es nicht relevant ist, ob wir BibliothekarInnen finden, dass wir (überspitzt ausgedrückt) besser sind als Google. Relevant für mich an dem Artikel ist, dass Kathrin Passig, so wie viele andere Menschen, keinen Nutzen in Bibliotheken sieht, weil wir diesen Nutzen nicht vermitteln können. Das Imagevideo des dbv ist ein Beispiel dafür. Ein interessanter Blogpost dazu wurde auch von @fahrenkrog retweeted: why i don’t use public libraries and how they might lure me back.

Und ich habe derzeit den Eindruck, dass die Vorstellungen von der Zukunft des Bibliothekswesens, die einige KollegInnen gebloggt haben (z.B @mediomartin hier und @digiwis hier), so schön sie klingen, aus heutiger Sicht nicht realistisch ist. Versteht mich nicht falsch, ich wünsche mir so eine Bibliothek der Zukunft und ich halte sie sogar für möglich. Aber sie ist keine natürliche Weiterentwicklung der derzeitigen Situation, sondern eine drastische Veränderung des derzeitigen Bibliothekswesen und ich vermute auch des Selbstverständnisses vieler BibliothekarInnen.

Vielleicht bin ich wegen der Fülle an Stellen, die derzeit im Öffentlichen Bibliothekswesen in Österreich ausgeschrieben sind (in Worten: keine), pessimistischer als sonst, aber ich fürchte, dass es nicht viele Bibliotheken gibt, die wenn an Kultur und Bildung (weiter) eingespart werden soll, überhaupt genügend Menschen ausreichend motivieren können, gegen Kürzungen, Schließungen etc. zu protestieren.

Ich frage mich auch, wieviele BibliothekarInnen, außer denen, die bloggen und twittern überhaupt unsere Vorstellungen der Bibliothek der Zukunft teilen. Wieviele Berufskolleginnen gehen davon aus, dass sie bis zur Pension einfach so weitermachen können wie bisher? Wieviele meinen, dass die zweifellos notwendigen Veränderungen dann von den undefinierten und undefinierbaren “Anderen” umgesetzt werden? Und wie bereiten die derzeitigen Ausbildungen auf diese Szenarien vor? Wird es überhaupt genügend Personal geben, dass die Anforderungen dann umsetzen wird können?

Nach dem geballten Pessimismus in Blogform, abschließend einen Tweet, den ich mir in Zukunft zu Herzen nehmen möchte:

Edit: Musste ein accent grave einfügen. Ein klassischer Fall von Muphry’s law.

11 thoughts on “Totgesagte leben länger?

  1. Hui, sehr, sehr pessimistisch der Blogbeitrag. Ich glaube nicht, daß ich eine idealistische Sichtweise auf die Bibliotheken habe, vielmehr eine realistische, wenn ich mal nach links zu den öffentlichen oder rechts zu den wissenschaftlichen schaue. So richtig ist mir der Satz hinsichtlich der Weiterentwicklung nicht klar geworden. Daß sich Berufsbilder teilweise so stark verändern, daß sie mit denen vor 50 Jahren nur noch wenig zu tun haben, ist doch nichts neues bzw. auch kein Problem. Letztlich stellt eine Änderung des Berufsbildes auch eine Weiterentwicklung dar, oder etwa nicht?
    Letzte Anmerkung: die Öffnung zum Digitalen bei den Bibliothekaren ist genauso vielschichtig wie beim Rest der Bevölkerung. Wir als diejenigen, die mit wehenden Social Media Fahnen an der Spitze uns wähnen, sollten die “Anderen” nicht vergessen. Nur weil jemand nicht twittert, ist er nicht gegenüber den Neuerungen nicht aufgeschlossen. Im Gegenteil: da habe ich einige tolle Bibliothekare getroffen.

    • Hm, mal schauen, ob ich mich etwas klarer ausdrücken kann:
      Ich meinte, die Zukunftsvision wäre schön, wenn sie eintritt, aber wenn alles einfach so weiterläuft, fürchte ich, dass es nicht passieren wird, weil zuwenig Menschen in diese Richtung denken, arbeiten, entwickeln. Im Gegenzug meine ich, dass zu viele BibliothekarInnen möchten, dass alles gleich bleibt und entsprechend keine Fortbildung besuchen, neue Services entwickeln etc.

      Aber ich hoffe, du bist realistisch und nicht ich, weil ich wünsche mir auch eine Zukunft mit coolen Bibliotheken!

      Bezüglich der Social Media BibliothekarInnen: Ich meinte nicht, die die nicht twittern sind sicher altmodisch / rückwärtsgerichtet oä. Ich meinte, dass Blogs und Tweets von BibliothekarInnen zu lesen, keinen Querschnitt aus dem Bibliothekswesen ergibt, sondern eine bestimmte, überdurchschnittlich engagierte Teilmenge. Das klingt jetzt so, als meine ich, die anderen sind nicht engagiert. Ich meine, wenn ich 20 Blogeinträge und 50 Tweets lese “XY ist toll!”, dann heißt das nicht alle BibliothekarInnen finden XY toll, sondern eben nur die bloggenden. Was die anderen meinen erfahre ich schwerer und die laufen dann Gefahr vergessen zu werden.

  2. Ich hab euren Blog kürzlich über die Mädchenmannschaft gefunden und finde ihn rasend spannend. Daher freu ich mich auch voll, daß es was neues zu lesen gibt.

  3. Ah, grandios. Versehentlich an der falschen Stelle Enter geklickt. Was ich sagen wollte: ich hab jetzt einige der verlinkten Beiträge gelesen und mich natürlich in einigen Aspekten von “why i don’t use public libraries” wiedererkannt… Allerdings finde ich die Forderungen darin… tja… irgendwie utopisch. Es fällt mir schwer, das so zu schreiben, denn irgendwie denke ich mir auch, daß man das Unrealistische fordern sollte, aber die Idee, daß man in einer Bib alles für lau bekommt, wofür man sonst bezahlen muß (jetzt mal vom Kaffee abgesehen, der aber ja nicht im gleichen Maß konsumiert werden muß wie in einem kommerziellen Café), stelle ich mir … ähm… schwer umsetzbar vor. Ihr habt ja bspw. schon einiges über die Ebooks-Lizensierungsfrage geschrieben. Ich will auch nicht, daß eine Bibliothek zu einer Offline-Außenstelle von Amazon wird, die alle meine Daten verwertet um mir daraus Vorschläge zu basteln wie “Personen die X gelesen haben, haben auch Y gelesen” – ein Feature das ich überhaupt nicht hilfreich finde!

    Für mich ist eine Bibliothek hauptsächlich dann relevant, wenn ich etwas haben will, was ich sonst nicht oder nur sehr teuer bekomme, also Bücher die nicht mehr aufgelegt werden, die es nur in kleiner Auflage gibt oder gab oder die ich einfach nur als Referenz benötige. Nicht nur, aber vor allem Fachliteratur. Und gerade da finde ich Bibliotheken furchtbar. Es ist einfach furchtbar nervig, anachronistische Kataloge zu durchwühlen, Bücher rauszusuchen (bzw. raussuchen zu lassen) nur um dann festzustellen, daß sie (für meine Zwecke) nichts taugen, ständig verliehenen oder verlegten Büchern hinterherzujagen… und auch die Nutzung der Ebook-Angebote die es mittlerweile über die Unis gibt, finde ich eher anti-intuitiv. Manchmal hab ich das Gefühl, so ein im weiteren Sinne geisteswissenschaftliches Studium besteht zu nicht irrelevanten Teilen aus einem Bibliothekshürdenlauf (übrigens auch bzgl. der Sicherung eines Sitzplatzes!). Das hat ja nichts mit dem Schlendern durch Reihen von Belletristikbänden zu tun. Ist einfach so eine Arbeit vs. Freizeit – Effizienz-Geschichte. Daher sind für mich die großen Issues auch nicht Kaffee, Sessel und free WLAN… Bla…

    However, beste Grüße nach Regalia.

    • Hallo aus Regalia 🙂
      Ich hab den Fehler gemacht, der an anderer Stelle schon kritisiert wurde: Ich habe nicht dazugeschrieben, dass ich mich auf öffentliche Bibliotheken beziehe, wo Kaffee und WLAN ein Riesenthema ist.

      Aber ich bin ganz bei dir: Es ist das Jahr 2013 und wenn du in einen Bibliothekskatalog einen Zeitschriftentitel und 2011 eingibst, kann es dir passieren, dass du die Zeitschrift nicht findest, weil die Katalogisierungsregeln sagt, die wird als von bis eingegeben und aus unerfindlichen Gründen löst das Bibliotheksprogramm, das viel viel Geld gekostet hat 1993 – 2013 nicht in 1992, 1994, …2011, 2012, 2013 auf. Da müssen Bibliotheken noch viel besser werden. Aber das ist ein ganz eigener Rant 😉

      Du schreibst:
      “Ich will auch nicht, daß eine Bibliothek zu einer Offline-Außenstelle von Amazon wird, die alle meine Daten verwertet um mir daraus Vorschläge zu basteln wie “Personen die X gelesen haben, haben auch Y gelesen” – ein Feature das ich überhaupt nicht hilfreich finde!”

      Ich fände es cool, wenn Bibliotheken das anbieten, aber eben im Gegensatz zu kommerziellen Firmen optional machen. Ich lese in den Diskussionen über die Zukunft der Bibliotheken bzw. Bibliothek vs. Google, oft, dass BibliothekarInnen so tolle Informationskompetenz haben, so gut beraten können, etc.
      Aber ich vermisse die Umsetzung dieser behaupteten Fähigkeiten in einen praktischen, greifbaren, verständlichen, möglicherweise online Service.

      • Sorry, ich hab mich auch schon mißverständlich ausgedrückt: die Sache mit dem WLAN und dem Kaffee für öffentliche Bibliotheken finde ich schon auch nachvollziehbar; daß das für eine “wissenschaftliche Bib” wieder ne andre Nummer ist, geschenkt. Ich bin in dem Thema gar nicht drin, darum von mir auch nur so wildes Rumassoziiere. *schäm*
        Wenn ich es richtig verstanden habe, wäre also die Idee, daß die öffentliche Bib der Zukunft mehr eine Art ausgelagertes Wohnzimmer wird als es jetzt gerade ist – was durchaus begrüßenswert ist angesichts der doch oft dort herrschenden Friedhofsstimmung. Was auch was damit zu tun hat, daß natürlich auch dort Leute arbeiten – nämlich die, denen die Café zu teuer oder zu stressig sind. (Naja, wieder ein anderes Thema)

        Und ja, du hast schon Recht: wenn man das möchte, sollte man die Option der Datenauswertung und Vorschlagserstellung auf jeden Fall einbauen. Aber dann kann man das auch weiterdenken und eine Rezension-Option für den Katalog einbauen. 🙂

        So, genug rumgesponnen. Ich freu mich auf euren nächsten Beitrag! Euch noch einen schönen Sonntag!

      • Wildes rumassoziieren ist voll in Ordnung. Ich finde die Meinungen von NutzerInnen auch sehr spannend, die kommen in solchen Diskussionen ohnehin viel zu selten zu Wort!

  4. Hi,

    ich bin ganz bei Dir, wenn Du sagst, dass es noch viele BibliothekarInnen gibt, welche glauben, dass sie mit ihrem Studiumwissen bis zur Rente durchkommen. Erlebe ich oft auf Vorträgen, ABER, vielleicht sind es weniger als wir befürchten. Ich hoffe es. Übrigens glaube ich auch, dass Du mit der Aussage, dass es eines radikalen Wandels bedarf, Recht hast. Trotzdem hoffe ich, und zwei Tage Zukunftswerkstatt mit meinen Kollegen aus der Mediothek Krefeld bestätigen mich da, dass es Bibliotheken geben wird, die den Wandel schaffen….ich fände es schade, wenn die Bibliothek als solche komplett verschwinden würde….

    Gruß
    Martin

  5. Ich habe eine leitende Position in einer Bibliothek und glaube, dass das Problem weniger die BibliothekarInnen sind. Ich sehe da viel Veränderungsbereitschaft, ja sogar echten Hunger danach, sich mit der Zukunft der eigenen Zunft und dem eigenen Tun auseinanderzusetzen. Klar: Aus einer Bibliothekarin wird keine Software-Entwicklerin (schon allein wegen der Frauenfeindlichkeit der Bibliotheks-IT, aber das nur am Rande). Das Problem ist vielmehr, dass wir in den leitenden Positionen uns zu wenig trauen: Wir geben keine klaren Richtungen vor und vor allem wir lassen uns von den wenigen wirklich veränderungs-resistenten MitarbeiterInnen (oft in der mittleren Schicht) in Geiselhaft nehmen. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz in der Bibliotheks-Führungslehre zu sein, dass jedeR “mitgenommen werden muss” – Konsens um jeden Preis. Was ich mir wünschen würde ist, Entwicklungsrichtlinien vorgeben zu können, Einwände und Bedenken zu hören und diese ggf. einfließen zu lassen, aber dann verdammt noch mal diesen Richtlinien zu folgen. Wer nicht mitmachen will, geht. Rausschmeißen geht ja nicht, aber man kann doch dafür sorgen, dass Gehen in diesem Sinn zumindest ein Aus-dem-Weg-Gehen ist, auf dass die notwendigen Veränderungsprozesse nicht von einigen wenigen sabotiert werden.

  6. Pingback: Über demografischen Wandel in Bibliotheken- und, natürlich, auch ein bisschen über Discovery | A growing organism

Leave a reply to george Cancel reply